Droge für die Ohren – Eindrücke vom 1. Deutschen Radiopreis

Deutscher Radiopreis

Radio im Rampenlicht – Glanzvolle Premiere

So betiteln die Veranstalter den 1. Deutschen Radiopreis, der am 17. September 2010 in Hamburg vergeben wurde. 1. Deutscher Radiopreis ist natürlich insofern nicht ganz richtig, als dass es auch zuvor schon Radiopreise in Deutschland gab, ich habe vor langer, langer selber schon welche gewonnen. Doch bislang waren das regionale Wettbewerbe. Rundfunk ist in Deutschland Ländersache, folglich sind auch die Radiosender regional organisiert – sowohl die privaten als auch die öffentlich-rechtlichen Sender.

Natürlich arbeiten die ARD-Radios bei aktueller Berichterstattung und beim Beitragsaustausch zusammen. Mit dem Nachtexpress, dem Nachtkonzert und der ARD-Popnacht gibt es ganze Sendestrecken, die jeweils von einem Sender produziert und dann von anderen mit ausgestrahlt werden. Mit der Nachtübernahme von MDR Info bei B5 Aktuell, SWR cont.ra und hr Info gibt es Zusammenarbeit im Bereich der Nachrichtenradios und die jungen ARD-Programme kooperieren seit April beim abendlichen Call-In-Talk Lateline. Zu erwähnen sind auch der ARD Radio-Tatort oder das ARD Radio-Feature.

Im Privatradio gibt es Zusammenarbeit zum Beispiel bei den NRW-Lokalradios, die BLR beliefert zentral die Lokalradios in Bayern und die deutschen Energy-Sendern machen teilweise gemeinsame Aktionen. Die Programme der Regiocast-Gruppe haben eine zentrale Nachrichtenredaktion in Kiel und machen gemeinsame, wenn auch bedenkliche Gewinnspiele.

Senderübergreifend macht die Radiozentrale gemeinsames „Gattungsmarketing“ fürs Radio als Werbeträger, hat zur Bundestagswahl 2005 ein Radio-Duell mit Thomas Koschwitz, Angela Merkel und Gerhard Schröder initiiert sowie 2009 und 2010 einen nationalen Radio-Aprilscherz ins Leben gerufen.

Eine so weitreichende Kooperation wie jetzt beim Deutschen Radiopreis ist aber tatsächlich neu. 26 öffentlich-rechtliche und private Sender haben die Verleihung live übertragen, manche Private allerdings nicht durchgängig. Dafür waren in Hamburg zum Beispiel gleich fünf Sender (Radio Hamburg, Oldie 95, Alsterradio, Energy und NDR2) live dabei, von denen vier miteinander konkurrieren (Oldie 95 gehört ja teilweise Radio Hamburg).

Eine fast dreistündige Gala zu übertragen, die – von kurzen musiklischen Einlagen abgesehen – überwiegend aus Wort besteht, sprengt das Format vieler übertragender Sender. Die letzte Preisverleihung, die in voller Länge im Radio übertragen wurde, an die ich mich erinnern kann, war in den 90er Jahren R.SH Gold. Ehrenhaft ist auch, dass etwa NDR2 in seinen Nachrichten nach der Preisverleihung den Preis für Radio-Hamburg-Moderator John Ment erwähnte oder Bayern3 -wenn auch womöglich mit Bauschmerzen – überträgt, wie Hauptkonkurrent Antenne Bayern zum besten Sender gekürt wird. Das ist ein Indiz dafür, dass hier tatsächlich mal alle Sender an einem Strang gezogen haben. Ein gutes Zeichen, denn die Idee, endlich auch einmal besonders herausragende Leistungen, Ideen und Akteure aus dem Bereich Radio auszuzeichnen, finde ich richtig. Die Umsetzung hingegen ist noch etwas optimierungsbedürftig.


Eine Gala aus dem Preisverleihungs-Baukasten

Die Verleihung des Radiopreises war eine Gala, wie man sie zuhauf von Film- und Fernsehpreisen, Bambis, Echos, Goldener Kamera oder Henne kennt: Ein Moderator führt durchs Programm, Laudatoren würdigen die Leistung des Preisträgers, dann kommt eine kurze Einspielung und der Preisträger hält seine Dankesrede.

Nicht anders war es beim Deutschen Radiopreis. Moderatorin Kathrin Müller-Hohenstein, die ihre Wurzeln zwar beim Radio hat, über Bayern hinaus aber erst durch ihr Engagement fürs ZDF bekannt wurde, haspelte sich durchs Programm – leider gab es kaum eine Moderation von ihr ohne Versprecher. Daneben gab es mit Thomas Mohr (NDR 2) und Susanka Bersin (bigFM) noch zwei Radio-Moderatoren, die in einer gläsernen Sprecherkabine auf der Bühne saßen und das Geschehen für die Radiohörer kommentierten, etwa dass Kathrin Müller-Hohenstein über ihr Kleid gestolpert ist. Daneben hatten sie auch Phil Collins oder Reiner Calmund zu Kurz-Interviews in ihrem Radiostudio, während auf der Bühne ein anderes Programm lief. Die Idee ist nicht verkehrt, bei einem Radiopreis dem Radiohörer zu vermitteln, was er nicht sehen kann. Allerdings ist eine Preisverleihung keine Sportveranstaltung: Wenn also auf der Bühne geredet wurde und die beiden Radio-Kommentatoren auch geredet haben, dann wirkte das eher störend als hilfreich.

Ein Fernsehpreis im Radio

Die Laudatoren – von Lena Meyer-Landruth, Stefan Aust und Reiner Calmund über Maybrit Illner, Christine Neubauer und Reinhold Beckmann bis hin zu Hans-Dietrich Genscher und Thomas Hermanns – erzählten von ihren Erlebnissen mit dem Medium Radio, lasen dann die Begründungen der Jury vor und nannten die Preisträger. Ich+Ich-Sänger Adel Tawil trug die Begründung der Jury als Gesang vor. Das war eine nette, originelle Idee – da der Text der Jury aber einfach nicht zum Singen geschrieben war, klang das Ergebnis für mein Befinden eher schräg. Besonders originell fand ich auch die Laudatio von Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß, die den Preis für die beste Musiksendung verlieh und sich erst einmal darüber beklagte, dass bei vielen Sendern für Wort über Musik kaum Platz ist.

Radiopreis-Gala (Bild: NDR/Philipp Szyza)Auffällig war, dass die Laudatoren durchweg Menschen waren, die man überwiegend aus dem Fernsehen kennt. Das ist für die öffentliche Aufmerksamkeit natürlich zuträglich – so berichtete etwa „Bild“ dann auch vor allem über die Stars und nicht über die Preisträger. Der eine oder andere Laudator, der zumindest eigene Radiowurzeln hat, hätte dem Radiopreis nicht schlecht getan.

Ohnehin wurde man den Eindruck nicht los, es handele sich um einen Fernsehpreis, der auch im Radio übertragen wird. Zwar erwähnte Stefan Aust in seiner Laudatio, „dass man beim Radio die besseren Bilder sieht“, doch auf Bilder wollten die Veranstalter nicht verzichteten und unterlegten die prämierten Radiobeiträge mit nachgedrehten Filmsequenzen, statt allein mit Tönen das viel zitierte „Kino im Kopf“ zu erzeugen. Diese Einspielfilme waren wohl der TV-Sendung zum Radiopreis geschuldet. Die lief ab Mitternacht im NDR Fernsehen und erweckte mit teils willkürlichen Umschnitten und Zooms den Eindruck, Radio-Leute hätten die TV-Regie übernommen.

Preisvergabe mit Fragezeichen

Die elf Radiopreise wurden durch eine Jury vergeben, die vom Grimme-Institut einberufen wurde. Zusätzlich wurden vier Sonderpreise von einem Beirat vergeben. Insgesamt wurden 329 Beiträge und Sendungen eingereicht, aus denen die Jury die Preisträger ausgewählt hat. Vorgabe war, „die Vielfalt der Genres und Programmleistungen des Wettbewerbszeitraums angemessen zu berücksichtigen“. Damit hört es leider auch schon auf mit der Transparenz. Welche Beiträge es neben den Preisträgern noch in die engere Auswahl der jeweiligen Preis-Kategorien geschafft haben, ist nicht bekannt – auf Nominierungen wurde nämlich verzichtet, bei der Gala wurden direkt die Preisträger verkündet. Hier wäre es sicher sinnvoll zu zeigen, gegen welche anderen eingereichten Beiträge der Preisträger sich durchgesetzt hat, um einen Vergleich zu haben, warum ausgerechnet dieser Beitrag besonders herausragend ist.

Für nicht sinnvoll halte ich dagegen einen Publikumspreis, der von den Zuhörern vergeben wird. Wie schon erwähnt ist Radio in Deutschland mit wenigen Ausnahmen regional organisiert. Und auch wenn es via Digital-Kabel, Satellit oder Internet technisch möglich ist, fast jeden Sender bundesweit zu empfangen, so schalten die allermeisten Durchschnittshörer doch einen Sender ein, den sie lokal per UKW empfangen. Die meisten Hörer in Bayern wissen also nicht, welche womöglich großartigen Programme es in z.B. in Berlin gibt, die wenigsten Norddeutschen hören Sender aus dem deutschen Südwesten. Außerdem bestünde die Gefahr, dass nicht die Sender gewinnen, die das beste Programm machen, sondern die Sender, denen es gelingt, die meisten Hörer zur Abstimmung zu mobilisieren. Ein ähnliches Problem hat ja auch Stefan Raabs Bundesvision Songcontest, bei dem die meisten Bundesländer die Höchstzahl an Punkten regelmäßig an sich selber vergeben.

Nun ein paar Kommentare zu einigen der Preisträger:

Beste Höreraktion: Antenne Thüringen – Das DDR-Experiment (Laudatio und Begründung)
Radiopreis für Olle DDRZwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer lebte Antenne-Thüringen-Reporter Stefan Ganß eine Woche lang in einer Museumsbaracke unter DDR-Bedingungen. Dort verzichtete er auf Handy, iPod oder Kreditkarte, aß Eier mit Senfsoße, nutzte Original-Aluminiumbesteck und war selbst auf dem stillen Örtchen mit zwanzig Jahre altem „Dessau Standard“ zeitgemäß ausgestattet. In seine Baracke „Olle DDR“ lud er seine Hörer zu „Vor-Ort-Gesprächen in der Vergangenheit“ ein, die mit ihren Erinnerungen und Wendegeschichten Teil des Experiments wurden. Eine schöne Idee, Geschichtsvermittlung und Höreraktion miteinander zu verbinden.

Beste Reportage: Nordwestradio – „Letzte Fahrt ins Spielzeugland“ (Laudatio und Begründung)
Jens Schellhass und Laudator Hans-Dietrich Genscher (Bild: NDR/Philipp Szyza)In dem Hörbild von Jens Schellhass (im Bild rechts mit und Laudator Hans-Dietrich Genscher und Kathrin Müller-Hohenstein) geht es um die Schließung eines alteingesessenen Spielzeugladens in Bremen nach rund 60 Jahren. Die Reportage ist ein schönes Beispiel dafür, wie Radio durch die eindringlichen und emotionalen Erzählungen des Inhabers, von Familienmitgliedern, Enkeln, Stammkunden, Kindern und Schnäppchenjägern ganz ohne Bilder zum Kino im Kopf wird. Von dem sehr hörenswerten und zurecht ausgezeichneten Feature gibt es eine kurze Dreieinhalb-Minuten-Fassung sowie eine ausführliche Version von 55 Minuten Länge.

Beste Innovation: „Die Frage“ von on3radio (Laudatio und Begründung)
Bei diesem Reportageformat des jungen Programms on3radio des Bayerischen Rundfunks steht am Anfang eine offene Frage, über die man prima diskutieren kann und auf die die Programmmacher selbst keine Antwort haben. Die Frage on3radioInnerhalb von zwei bis drei Wochen begibt sich ein Reporter auf die Suche nach Antworten und berichtet im Blog und sozialen Netzwerken, im Radio und TV über seine Rechercheergebnisse. Die Jury lobt vor allem, dass Internet und Radio wechselseitig profitieren und das Internet nicht nur begleitend zum Radioprogramm genutzt wird, sondern zusätzlich zum „Geburtshelfer“ für die Radio-Sendung wird. Ich muss zugeben, dass ich die Sendung zuvor nicht kannte, auch weil ich on3radio bislang meist nur als „Verbreitungsmedium“ der Lateline gehört habe. Dennoch finde ich die Idee von „Die Frage“ einen spannenden Ansatz, der zurecht als Innovation ausgezeichnet wurde. Nette Anekdote am Rande: Die Laudatorin, Schauspielerin Christine Neubauer, war ganz überrascht und meinte, sie hätte „nie damit gerechnet, dass der BR jemals einen Preis für Innovation bekommt“.

Sonderpreis des Beirats für John Ment (Laudatio und Begründung)
Seit mehr als 20 Jahren ist John Ment Morningman bei Radio Hamburg. John Ment, Radio HamburgAls ich noch in Lübeck wohnte, habe ich John Ment morgens vor der Schule und später beim Zivildienst im Kleinbus immer gerne gehört und für seine zynische und bissge Art geschätzt. Besonders die inzwischen eingestellte Comedy-Serie „Pokements“ habe ich geliebt. Leider finden sich davon nur nur Fragmente im Web, etwa das Unterschicht-Grammatik-Pokement, das Hamburger-Aussprache-Experten-Pokement, das THW-Pokement und das Freiwillige-Feuerwehr-Pokement. Den Sonderpreis für John Ment ist so etwas wie ein Preis für sein Lebenswerk und für ihn ein Ansporn für neue Herausforderungen, um das noch zu toppen, verriet John Ment wasmitmedien.de. Er kündigt an, auch die nächsten 20 Jahre weiterzumachen und notfalls im Liegen zu moderieren. Sein Appell: „Radio ist die einzige Droge, die mit den Ohren eingenommen wird. Bitte kämpft, dass das so bleibt.“

Phil Collins bei Radiopreis (Bild: NDR/Philipp Szyza)Sonderpreis des Beirats für Phil Collins (Laudatio und Begründung)
Meine erste Reaktion beim Auftritt von Phil Collins war „Man, ist der alt geworden!“. Und natürlich ist die Frage berechtigt, warum ein Musiker bei einem Radiopreis ausgezeichnet wird. Die Vermutung liegt nahe, dass der Preis ein Lockmittel war, um Phil Collins für einen Auftritt bei der Gala zu gewinnen. Doch wenn man sich mal ein Medley der Hits von Phil Collins anhört – ob als Solo-Künstler oder mit Genesis – merkt man, wie präsent er auch heute noch im deutschen Radio ist. 250 Airplay-Einsätze pro Tag sollen es allein in Deutschland sein. Auf Anhieb fällt mir kein anderer Künstler ein, der es auf diese Menge bringt – mit Abstand am ehesten noch Roxette.

Sonderpreis des Beirats für Antenne Bayern (Laudatio und Begründung)
Zugegeben, dass ausgerechnet Antenne Bayern als bester Sender ausgezeichnet wird, hat mich schon sehr verwundert. Der Preis sei den Kollegen gegönnt. Denn selbst wenn man es nicht bei jedem Einschalten sofort merkt: Auch im Programm von Antenne Bayern verbergen sich wahre Perlen, Radiopreis für Antenne Bayernetwa der Antenne Bayern SamsTalk, bei dem eine Stunde lang mit Experten eine aktuelles Thema kontrovers diskutiert wird oder die Menschen am Sonntag, wo Prominente und normale Menschen ihre spannenden, persönlichen Geschichten erzählen. Daneben macht Antenne Bayern aber auch mit fragwürdigen Aktionen von sich reden, etwa wenn ein Moderator sich beim Gewinnspiel ganz aus Versehen verplappert oder wenn man bei einem verfrühten Aprilscherz auch nach der Aufklärung immer noch so tut, als habe man von nichts gewusst (Audio-Mitschnitt). Und wenn Antenne Bayern (wie viele andere Sender übrigens auch) mal wieder nach geheimen Geräuschen oder Worten fahndet oder nach Geldscheinen mit ausgeloster Seriennummer sucht, erinnert das Programm mehr an eine 9Live-Losbude als an einen Kandidaten für den „besten Sender“. Womöglich haben bei der Preisvergabe Proporzgründe eine Rolle gespielt, weil man noch einen Privatsender auszeichnen wollte und dabei einen der größten Privatsender nicht völlig leer ausgehen lassen konnte. Aber das ist nicht mehr als Spekulation.

Fazit: Der 1. Deutsche Radiopreis verdient eine zweite Chance im nächsten Jahr, denn bei unzähligen Fernsehpreisen haben es auch Radiomacher verdient, dass besondere Leistungen gewürdgt werden. Nur sollte der Radiopreis dann wirklich mehr RADIOpreis und weniger ein verkappter Fernsehpreis für Radiomacher sein. Dazu gehört der Mut, die Fähigkeiten des Mediums Radio nicht nur zu predigen, sondern auch wirken zu lassen. Und dazu gehört auch mehr Verzicht auf TV-Gesichter als schöner Schmuck und das Vertrauen in die Fähigkeiten eigener Leute, die das Medium Radio nicht nur als Hörer kennen.

Weiterführende Links:

deutscher-radiopreis.de: Video-Interviews und Berichte von der Preisverleihung.
wasmitmedien.de: Wozu brauchen wir den Deutschen Radiopreis?
radioszene.de: Das Radio will sich feiern und versteckt sich. Hinter Bildern.
horizont.net: Deutscher Radiopreis: Übertragung mit Startschwierigkeiten.
ftd.de: Das gedruckte Radio.

Nachtrag 25.01.2011: Am 8. September 2011 ist eine Neuauflage des Deutschen Radiopreises geplant.

 


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