Die modernen Getränke – Cocktailrezepte von 1919
Von einem Buch mit dem Titel „Die modernen Getränke“ erwarten die meisten bestimmt Rezepte für pinkfarbene Fancy-Drinks, leuchtende Szenegetränke oder gar molekulare Cocktails. Aus heutiger Sicht vielleicht. Versetzt man sich gedanklich ins Jahr 1919 sind die Erwartungen an „moderne Getränke“ sicherlich andere.
Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich Franz Josef Beutel daran gemacht, eines der ersten Cocktail-Bücher in deutscher Sprache zu verfassen. Und zwar aus, wie er im Vorwort schreibt, „der Überzeugung, daß ein derartiges Werk nur ein wirklicher Fachmann zu schreiben berufen ist„. Außerdem war ihm ein Anliegen „die in anderen Getränkebüchern zusammengetragenen Kuriositäten und gar nicht auszuführenden Rezepte in einer Form zu bringen, welche in der Praxis auch wirklich hergestellt werden kann„. Alles andere als bescheiden, der Mann!
Nicht weniger als 1.212 Rezepte umfasst das Werk, darunter Bowlen, Punsch und Grogs, Kaffee- und Teegetränke, Limonaden Säfte und Liköre, aber auch kurios anmutende Getränke wie Warmbier mit Eidotter und Zucker, Ladies Drinks aus gekochter Milch und Schlagsahne „mit irgendeinem Geschmack parfümiert“ oder Brotwasser mit Zimt.
Natürlich gibt es in dem Buch auch viele Rezepte für Cocktails, aber während heute umgangssprachlich nahezu jede Form von Mischgetränk als Cocktail bezeichnet, ist Beutel wesentlich differenzierter: Cocktails nennt er nur die Mischgetränke, die in einer „Cocktailmaschine“ hergestellt werde, also einer „Glas- oder Porzellanbüchse mit eingebautem Schauschläger“. Andere Mischgetränke sind dann z.B. Cobbler, Flips Sangarees, Toddys, Smashes, Shrubs oder schlichtweg American Drinks.
Roland Barics, Bartender und Cocktail-Experte („Cocktailian“), den ich von Cocktail-Seminaren an der Münchner Volkshochschule kenne, hat das Buch aus dem Jahr 1919 nun in unveränderter Fassung neu aufgelegt. Auch wenn das Buch äußerlich neu ist, so hat man dennoch ein ähnlich freudiges Gefühl wie beim Stöbern in alten, vergilbten Zeitungen oder wiederentdeckten verstaubten Büchern vom Dachboden. Man muss sich nur immer wieder vergegenwärtigen, dass das Buch inhaltlich auf dem Stand von 1919 ist, um dann einerseits bei manchen Formulierungen oder Beschreibungen zu schmunzeln, andererseits festzustellen, cool, was vor 90 Jahren schon so gemacht wurde.
Kleines Manko: Auch wenn das Buch den Anspruch hat, eine unveränderte Neuauflage des Originals zu sein, wäre eine kurze historische Einordnung oder Kommentierung des Herausgebers im Vorwort oder im Anhang durchaus wünschenswert gewesen.
Großer Vorteil: Hätte man sich das Original in einem Antiquariat gekauft oder in einer Bibliothek ausgeliehen, hätte man ständig Angst, das Buch drohe beim Durchblättern aus Altersgründen in Staub zu zerfallen – der Neuauflage droht dieses Schicksal nicht. Erst in 100 Jahren vielleicht.
Via Google Books gibt es nicht nur einen Einblick ins Buch, es lässt sich auch im Volltext durchsuchen. In Papierform gibt es das Buch über die Websites des Herausgebers und des Verlages, bei Online-Buchhändlern wie Amazon und über die ISBN-Nummer bestimmt auch im stationären Buchhandel. Da das Buch als Book-on-Demand verlegt wird, ist es mit einem Preis von 28 Euro für ein Taschenbuch nicht gerade ein Schnäppchen, aber historisch interessierte „Cocktailians“ werden daran sicher ihren Freude haben und feststellen: Es muss nicht immer Caipi und Sex on the Beach sein.